Die Postmoderne

From Anthologia

"[Die Postmoderne ist eine Sozialtheorie, die von] französischen Philosophen und Soziologen entworfen [wurde und die besagt, dass] die gesellschaftlichen Umbrüche der Nachkriegszeit zu einer für die Entwicklung der Individuen möglicherweise förderlichen Befreiung von traditionellen sozialen Normen führen könnten [...].

[...] Die Postmoderne ist die erste historische Epochenbezeichnung bzw. Stilrichtung, die häufig als "Danach" - nach der Moderne angesehen wird. Das steht aber im Widerspruch zum Selbstverständnis ihrer Vertreter, welche die Postmoderne als eine Art Grenzüberschreitung oder Fortentwicklung der Moderne werten (W. Welsch, "Unsere postmoderne Moderne"). Was an der Postmoderne neu ist, kann besser verstanden werden, wenn man sich einige wenige Merkmale der Moderne - der Geschichtsepoche, die folgend auf das Mittelalter auch als "Neuzeit" bezeichnet wird, vergegenwärtigt. Ihr Beginn wird in der Regel auf die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert datiert. Mit der Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus (1492) begann die Erforschung des Globus; mit den Experimenten Galileis - wie der gezielten Beobachtung der Planeten durch optische Geräte, der Entdeckung der Pendelgesetze - wurde die moderne Naturwissenschaft begründet, deren Entwicklung bis heute das Dasein bestimmt.

[Anmerkung: In einer Sache scheinen sich Kritiker sowie Befürworter bis zu einem gewissen Grade einig zu sein: Die Postmoderne soll kein Gegenstück zu der Moderne darstellen, auch wenn man dieses aus dem Begriff schließen könnte. Vielmehr soll die Postmoderne die in der Moderne gewonnenen Fortschritte weiter für sich nutzen, aus ihnen sollen neue erwachsen; sie schließt die Moderne in sich ein. Denn anders als in der Moderne, in welcher sich eine klare Abgrenzung zu ihren Vorgängern finden sollte, gilt die Postmoderne als pluralistische Epoche, sie wendet sich insofern nur gegen den Despotismus, gegen Totalitäres und Unifiziertes.]


Als zweites, gleichzeitiges Ereignis ist die Reformation zu nennen, weil sie sich nicht nur auf religiöse Glaubensinhalte ausgewirkt hat, sondern auf Vorstellungen vom Menschen als Individuum. Indem sie den einzelnen in seinem Verhältnis zu Gott von der Vermittlung durch die Kirche und ihre Diener freisetzte (Protestantismus), trug sie dazu bei, dass sich die Menschen nicht mehr nur als Angehörige eines Standes verstanden, sondern als Person. Die Aufklärung, die bürgerlichen Revolutionen, der gesellschaftliche Wandel vom Feudalismus über die Klassengesellschaften bis zum Ringen um ein zustimmungswürdiges Verhältnis zwischen Person und Gesellschaft waren die Folgen.

Fortschritt, ein Schlüsselbegriff der Moderne, war bis in das 20. Jahrhundert hinein positiv besetzt. Die Weltkriege, die nationalsozialistische und die stalinistische Diktatur, das Elend in der Dritten Welt und die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen durch Technik und Industrie haben dem alten Fortschrittsglauben den Boden entzogen. Die Theorie der Postmoderne ist jedoch nicht aus einer Globalkritik an der Moderne erwachsen. Postmoderne Wissenschaftler (wie [Michel] Foucault, [Jean-Francois] Lyotard, [Jean] Baudrillard) begründen ihre Theorie u. a. mit folgenden Beobachtungen und Erfahrungen: Die durch (elektronische) Kommunikationsnetze global wirkende Medien- und Werbeindustrie habe dazu geführt, dass "Kultur" (z. B. Theater, Konzerte) sich von der sozialen Lebenswelt immer mehr ablöst und den Menschen nur noch in Form vielfältiger Reproduktion [(vgl. auch Walter Benjamin, "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit") in den Medien begegnet; Glieder des Gemeinwesens hätten immer seltener Gelegenheit, sich außerhalb ihrer Bezugsgruppe im Blick auf eine gemeinsame Vergangenheit oder Zukunft zu verständigen; verbunden damit sei ein zunehmender Verlust der auf gemeinsame, aktive Erfahrungen angewiesenen Fähigkeit zur direkten Kommunikation. Die Folge sei wachsende Orientierungslosigkeit. Die diffuse Vielfalt, Widersprüchlichkeit, Beliebigkeit höbe die Bedingungen für die Möglichkeit auf, dass sich die Menschen in Begegnungen mit anderen zur Person entwickeln könnten, die zunehmende Virtualität der Neuen Medien erlaube es nicht mehr, Wirklichkeit und Diktion zu unterscheiden.

So sprechen die postmodernen Philosophen vom "dezentrierten Subjekt" (seiner Mitte verlustig gegangen), ja von seinem "Ende" - und damit dem Abschied von einer Leitvorstellung der Moderne, der sich auch im - vermuteten? - "Ende der großen Erzählung" (J. F. Lyotard, "Das postmoderne Wissen") abzeichne.

Die Analyse, wenn auch nicht alle ihre Konsequenzen, wird von zahlreichen Zeitdiagnostikern geteilt. Sie lässt sich schon aus der "Dialektik der Aufklärung" (Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, 1945) herauslesen. Der fundamentale Unterschied liegt jedoch darin, dass die postmodernen Theorien die Auflösung bisheriger Bedingungen als eine Chance gesehen wird: zu individueller Differenzierung, zur Entfaltung unterschiedlicher Identitäten, zur "Selbsterfindung" des Menschen, unabhängig von Normen und Erwartungen der Gesellschaft.

Hier setzt in der Nachfolge von Kant und Hegel - die Kritik der an den Traditionen der Moderne orientierten Philosophie an; es sei notwendig und möglich, das "unvollendete Geschäft der Aufklärung", die "Rekonstruktion des alteuropäischen Erbes" fortzuführen (vgl. Jürgen Habermas, "Moral und Sittlichkeit"). Demgemäß sind individuelle Entfaltung und Selbstverwirklichung angewiesen auf eine Anerkennung anderer, die nicht mit Zustimmung zu verwechseln ist. Sie stellt sich vielmehr her in Auseinandersetzungen um die Zustimmungswürdigkeit von Argumenten, wobei das Andere und der Andere geduldet werden; sie beruht auf dem Bestand gemeinsamer Werte, die sich auf die Achtung vor der Person der anderen gründet. Hilfe bei dem Bemühen, zu sich selbst zu kommen, kann der Mensch nur in etwas finden, was er selbst nicht ist.

In diesem Sinne war in den 80er Jahren von Philosophen und Sozialwissenschaftlern unterschiedlicher Richtungen von der "Unvermeidbarkeit ethischer Reflexion" gesprochen worden, weil Sinn und Ziele politischen Tuns politisch allein nicht ausreichend zu begründen seien.

So gesehen, stellt sich die Postmoderne allein in ihrem Beharren auf Beliebigkeit - auch der Werte - als eine apolitische Theorie heraus: Wie sollen die zur Selbsterfindung gelangten Einzelnen angesichts der Überlebensprobleme der Gegenwart und der Zukunft zu gemeinsamem politischen Handeln gelangen? Und wozu noch der Kampf für gerechte und gegen ungerechte Verhältnisse, wenn keine Maßstäbe mehr gelten sollen? Andererseits kann postmoderne Theorie dazu beitragen zu erkennen, was am Geschäft der Moderne unvollendet geblieben ist.

Hilligen, Wolfgang: Postmoderne. Gesellschaft und Staat. Lexikon der Politik. Hg. v. Hanno Drechsler. Wolfgang Hilligen, Franz Neumann. 9., neubearb. u. erw. A. München: Vahlen, 1995. S. 649-651.


Der Begriff "Postmoderne" sowie die Anwendung desselben ist umstritten, da die Postmoderne die Epoche der Moderne abschließen würde, denn neue Wortschöpfungen gehen einher mit neuen Zeiten, einem Umbruch also (dies soll der Begriff schlussendlich ja auch ausdrücken). Man kann aber nicht ganz genau sagen, ob das Auftreten neuer Technologien oder/und besonderer Ereignissen, welche es unzweifelhaft gibt, auch eine "neue Zeit" einzuläuten vermögen bzw. die augenblicklich herrschende Gegenwart mit Prognose auf die Zukunft beschreiben kann. Es steht ebenso die Frage aus, ob es die technologischen Fortschritte sind, die eine neue Epoche einleiten, oder aber ob es nicht auch bzw. nur die gesellschaftlichen Wandlungen sein könnten, durch welche der Begriff "Postmodern" gerechtfertigt wird, so z.B. die Wandlung von den "immer rauchenden Schornsteinen" zu mehr Umweltbewusstsein.

Unstimmigkeiten gibt es auch bei dem Gebrauch des Begriffs. Zuerst galt dieser nur der Literatur, es sollten also Bestrebungen, die über die Moderne hinausgehen bzw. nicht in die Vorstellungen der Moderne passen, beschreibbar werden. Allerdings wurde das Spektrum des Einsatzbereiches bereits kurze Zeit später durch die Kunst, die Architektur, die Soziologie, die Philosophie, die Theologie und im Endeffekt auf jedes andere Themengebiet, welches sich nicht voll und ganz der Moderne zuordnen konnte, erweitert.

Noch eine Indifferenz ist die eigentliche Entstehung der "Post" - Moderne, denn in den USA z.B. bezog sich der Begriff zuerst auf die Fortschritte der 50er Jahre, während in Europa die Postmoderne eigentlich erst ab 1975 beginnen sollte, wobei zu dieser Zeit in den USA bereits die Rede von einem Post-Postmodernismus war.

Der Begriff trat allerdings in Deutschland bereits 1917 auf, denn in diesem Jahr erschien von Rudolf Pannwitz das Buch "Die Krisis der europäischen Kultur", in welchem er Lösungsperspektiven für seine Ansicht, dass alle weiteren kulturellen Bestrebungen in der damaligen Zeit sinnlos wären, bereithält. Hier spricht er, in Bezug auf Nietzsche, der das Bild des neuen, freien, gottähnlichen Menschen charakterisierte, von dem in diesem Sinne gleichen "postmodernen" Menschen, der die "décadence" und den Nihilismus überwinden sollte.

Die zeitliche Eingrenzung wird dann um so schwerer, je mehr Leute darüber nachzudenken begannen. Der Autor Umberto Eco z.B. beschrieb in seiner Nachschrift zum (im Sinne des Autors postmodernen) Roman Der Name der Rose die Befürchtung, dass wohl bald selbst die Überlegungen Homers unter die Postmoderne fallen könnten.

Hier wird also im großen und ganzen ersichtlich, dass man anscheinend keine allgemeingültige Definition dieses Begriffes erfassen kann, da es zu viele Ungereimtheiten in Bezug zu dem Begriff "Postmoderne" gibt.

Die Erkenntnisse, die sich in der Moderne fanden, wurden allesamt esoterisch erarbeitet, man musste sich erst aus den Fängen der vergangenen Epochen befreien. Insofern kann die Postmoderne als exoterisch gelten, in ihr können somit alle Formen, da sie ja pluralistisch sein soll, Platz und im Alltag Verwendung finden.

Sehr treffend beschrieb dies der berühmte Philosoph Jean-Francois Lyotard in seinem Buch "Le Postmoderne expliqué aux enfants" (1986): "Die Postmoderne situiert sich weder nach der Moderne noch gegen sie, sondern war in der Moderne schon eingeschlossen, nur verborgen".

Weiterhin sah er im Übergang von der Moderne in die Post (Nach)- Moderne, vom Modernismus in den Postmodernismus, in "La condition postmoderne" >als herausstechendes Charakteristikum der Postmoderne den Zweifel an allen großen Erzählungen<.

Hier spricht er die Abkehr von den Ideologien an, die für sich selber beanspruchen, die Welt und den Einzelnen erklären zu können, so z.B. den als ungeeignet abgetanen Marxismus.

Dieses Ende der Ideologien kennzeichnet das Ende der Geschichte der Ideen und Visionen, die als Anhaltspunkt für die Zukunft galten und das Individuum zu lenken vermochten (so z.B. die des jüngsten Gerichts). Denn durch solche und andere Weltanschauungen wurde der Mensch aus dem Weltbild der Antike heraus in die weiterführende Zeit mit dem Endziel der Einkehr in den Himmel gerissen. Das Individuum war nun nicht mehr im sich regelmäßig wiederholenden Lauf der Zeit geborgen, konnte nicht mehr ganz entspannt im Hier und Jetzt leben, sondern sah sich angesichts der prophezeiten "Goldenen Zukunft", die ihn erwarten würde, in einer mangelhaften Gegenwart verfangen. Das Ende der Ideologien, der utopischen Leitbilder - des Christentums und seiner sozialistischen Ersatzutopien - wirft den Menschen nun zurück in den Mythos, in die auserlesene Erfahrung des gegenwärtigen Augenblicks, der des Lebens und dem, was hieraus erwächst.

Mit der Wiederkunft des Mythos und des zyklischen Weltbildes ist auch das Ende des linearen, auf Fortschritt ausgerichteten Geschichtsbildes verbunden. Denn dort, wo alles immer gleich ist, sich in ewiger Wiederkehr zu replizieren beginnt, erübrigt sich auch die Geschichtsschreibung. "Posthistorie" ist aus dieser Perspektive gleichbedeutend mit Postmoderne.

Beispiele für die Überwindung der Ideologien sind, wie bereits oben angesprochen, z.B. das Aufblühen der grün-alternativen, weltlichen und individualistischen Bewegungen.

Hierbei werden ohne Frage wieder kritische Stimmen laut, so etwa die Anschauung von Fredrio Jameson. Denn wer heute bereits davon redet, es gäbe ein neues Exempel, das wieder den Menschen, seine Mythen und Werte in den Mittelpunkt stelle, übersehe, dass er nach wie vor Teilchen einer kapitalistischen Konsumkultur sei, die alle Ideen aus ihrer historischen Integration herausreiße.

Da die Postmoderne sich auch auf die Naturwissenschaften ausdehnte bzw. in ihr Verwendung fand, wird der diesbezügliche Wandel hier ebenso kurz dargestellt.

Galt zuerst allein die Lebensverbesserung und -verlängerung der Menschen als erklärtes Hauptziel der Medizin, ohne dabei Rücksicht auf Werte zu nehmen, so wendet sich die "postmoderne Naturwissenschaft" nun nicht nur der zweckrationalen Abwägung zu, sondern weiterhin auch einer ethischen Infragestellung, welche das "Aus-dem-Boden-schießen" der Tierschutzvereine (die, unbenommen, sehr wichtig sind), belegen kann. Hieran kann man ersehen, dass wiederum das Prinzip des Pluralismus in der Postmoderne Verwendung findet. Man versucht, für beide Seiten eine passable Lösung zu finden, obwohl dies in diesem, wie auch in vielen anderen Fällen, sehr diffizil zu realisieren ist; Meinungsvielfalt ist also gefordert, auch wenn diese als nicht richtig abgetan wird. Denn einerseits wird der Fortschritt in der Naturwissenschaft bzw. den Naturwissenschaften kritisiert (so z.B. in Spielbergs Jurrasic Park), andererseits möchten auch viele nicht auf die Errungenschaften der Naturwissenschaften verzichten, sei es nun das Auto, die Heizung oder der HIV-Test.

Jan Lenssen; endgültige Version vom 15. April 1997


[...] Eine postmoderne Richtung zeitgenössischer Philosophie distanziert sich strikt von jeglicher Form der Fortschrittsgläubigkeit. Hegels Wort vom "Ende der Geschichte" in ihrem Sinn interpretierend, tritt sie vielmehr für die freie Kombination bisheriger Erkenntnismodelle ein. Allgemein bezeichnet der Begriff der Postmoderne philosophisch die Reflexion über den gegenwärtigen Kulturstand. Vor allem der französische Philosoph Jean-François Lyotard begreift die explosionsartig zunehmende Informationsflut und den mit der neuen Technologie verbundenen Zugriff auf beliebiges (anonymes) Wissen als einen Charakterzug postmoderner Kultur. In seinem Buch Das postmoderne Wissen (1986) sah Lyotard die Autorität der großen Erzählungen (Ideologien, rationalen Systeme etc.) am Ausgang des 20. Jahrhunderts zugunsten kleinerer Sinnfragmente zersplittert. Diese sind beliebig kombinierbar, ohne in ihrer Gesamtheit auf ein Sinnganzes zu verweisen. Ein weiterer Theoretiker der postmodernen Kulturauffassung ist Paul Virilio, der die Auflösung aller festen raumzeitlichen Kategorien im Rausch der Geschwindigkeit konstatiert.

Thomas Köster, 1999

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