BVerfG 6,84
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Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 5. April 1952 ausgeführt hat, bedeutet der Verfassungsgrundsatz der Gleichheit der Wahl aber nicht, daß jede Differenzierung des Erfolgswertes der Stimmen ausgeschlossen ist, daß also alle Parteien, die Listen aufgestellt haben, ohne jeden Unterschied gleich behandelt werden müßten. Der Grundsatz der gleichen Wahl ist ein Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes, der als Grundrecht des Einzelnen in Art. 3 Abs. 1 GG garantiert ist, aber darüber hinaus als selbstverständlicher ungeschriebener Verfassungsgrundsatz in allen Bereichen und für alle Personengemeinschaften gilt. | Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 5. April 1952 ausgeführt hat, bedeutet der Verfassungsgrundsatz der Gleichheit der Wahl aber nicht, daß jede Differenzierung des Erfolgswertes der Stimmen ausgeschlossen ist, daß also alle Parteien, die Listen aufgestellt haben, ohne jeden Unterschied gleich behandelt werden müßten. Der Grundsatz der gleichen Wahl ist ein Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes, der als Grundrecht des Einzelnen in Art. 3 Abs. 1 GG garantiert ist, aber darüber hinaus als selbstverständlicher ungeschriebener Verfassungsgrundsatz in allen Bereichen und für alle Personengemeinschaften gilt. | ||
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4. Angesichts des Ausgangspunktes von der demokratischen Gleichberechtigung der Staatsbürger und von der Gleichbewertung der politischen Parteien im System des Grundgesetzes ist festzuhalten, daß der dem Gesetzgeber bei der Gestaltung des Verhältniswahlrechtes nach dem Grundsatz der gleichen Wahl belassene Ermessensspielraum eng bemessen ist. Aber in diesen Grenzen bleibt die Pflicht des Bundesverfassungsgerichts bestehen, die Ausübung des gesetzgeberischen Ermessens zu achten. Das Gericht hat nicht zu prüfen, ob die innerhalb dieses Rahmens vom Gesetzgeber gefundene Lösung ihm zweckmäßig oder rechtspolitisch erwünscht erscheint. Es kann die Bestimmung eines Wahlgesetzes wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit vielmehr nur dann für nichtig erklären, wenn die Regelung nicht an dem Ziel orientiert ist, Störungen des Staatslebens zu verhindern, oder wenn sie das Maß des zur Erreichung dieses Zieles Erforderlichen überschreitet. Daß ein Quorum von 5 % nach der allgemeinen Rechtsüberzeugung zur Verhütung der Parteienzersplitterung im Parlament und damit zur Bewahrung der integrierenden Funktion der Wahlen gerechtfertigt ist, hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5. April 1952 entschieden. Er hält daran fest. | 4. Angesichts des Ausgangspunktes von der demokratischen Gleichberechtigung der Staatsbürger und von der Gleichbewertung der politischen Parteien im System des Grundgesetzes ist festzuhalten, daß der dem Gesetzgeber bei der Gestaltung des Verhältniswahlrechtes nach dem Grundsatz der gleichen Wahl belassene Ermessensspielraum eng bemessen ist. Aber in diesen Grenzen bleibt die Pflicht des Bundesverfassungsgerichts bestehen, die Ausübung des gesetzgeberischen Ermessens zu achten. Das Gericht hat nicht zu prüfen, ob die innerhalb dieses Rahmens vom Gesetzgeber gefundene Lösung ihm zweckmäßig oder rechtspolitisch erwünscht erscheint. Es kann die Bestimmung eines Wahlgesetzes wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit vielmehr nur dann für nichtig erklären, wenn die Regelung nicht an dem Ziel orientiert ist, Störungen des Staatslebens zu verhindern, oder wenn sie das Maß des zur Erreichung dieses Zieles Erforderlichen überschreitet. Daß ein Quorum von 5 % nach der allgemeinen Rechtsüberzeugung zur Verhütung der Parteienzersplitterung im Parlament und damit zur Bewahrung der integrierenden Funktion der Wahlen gerechtfertigt ist, hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5. April 1952 entschieden. Er hält daran fest. | ||
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Revision as of 17:38, 5 February 2007
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 5. April 1952 ausgeführt hat, bedeutet der Verfassungsgrundsatz der Gleichheit der Wahl aber nicht, daß jede Differenzierung des Erfolgswertes der Stimmen ausgeschlossen ist, daß also alle Parteien, die Listen aufgestellt haben, ohne jeden Unterschied gleich behandelt werden müßten. Der Grundsatz der gleichen Wahl ist ein Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes, der als Grundrecht des Einzelnen in Art. 3 Abs. 1 GG garantiert ist, aber darüber hinaus als selbstverständlicher ungeschriebener Verfassungsgrundsatz in allen Bereichen und für alle Personengemeinschaften gilt.
Der Gleichheitssatz fordert nicht, daß der Gesetzgeber die Einzelnen und ihre relevanten gesellschaftlichen Gruppen unbedingt gleichmäßig behandelt; er läßt Differenzierungen zu, die durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt sind.
Die Wahl hat aber nicht nur das Ziel, den politischen Willen der Wähler als einzelner zur Geltung zu bringen, also eine Volksrepräsentation zu schaffen, die ein Spiegelbild der im Volk vorhandenen politischen Meinungen darstellt, sondern sie soll auch ein Parlament als funktionsfähiges Staatsorgan hervorbringen. Würde der Grundsatz der getreuen verhältnismäßigen Abbildung der politischen Meinungsschichtung im Volk bis zur letzten Konsequenz durchgeführt, so könnte sich eine Aufspaltung der Volksvertretung in viele kleine Gruppen ergeben, die die Mehrheitsbildung erschweren oder verhindern würde. Große Parteien erleichtern die Zusammenarbeit innerhalb des Parlaments, weil sie in sich bereits einen Ausgleich zwischen verschiedenen Volkskreisen und deren Anliegen vollziehen. Der unbegrenzte Proporz würde die Möglichkeit schaffen, daß auch solche kleinen Gruppen eine parlamentarische Vertretung erlangen, die nicht ein am Gesamtwohl orientiertes politisches Programm vertreten, sondern im wesentlichen nur einseitige Interessen verfechten. Klare und ihrer Verantwortung für das Gesamtwohl bewußte Mehrheiten im Parlament sind aber für die Bildung einer nach innen und außen aktionsfähigen Regierung und zur Bewältigung der sachlichen gesetzgeberischen Arbeit erforderlich. Es ist also ein aus der Natur des Sachbereichs "Wahl der Volksvertretung" sich ergebendes und darum eine unterschiedliche Bewertung des Erfolgswertes der Stimmen rechtfertigendes Kriterium, nach der größeren Eignung der Parteien für die Erfüllung der Aufgaben der Volksvertretung zu differenzieren. Mit dieser Begründung dürfen daher sogenannte "Splitterparteien" bei der Zuteilung von Sitzen in der Verhältniswahl ausgeschaltet werden, um Störungen des Verfassungslebens vorzubeugen.
Der Gesetzgeber darf Differenzierungen in dem Erfolgswert der Stimmen bei der Verhältniswahl vornehmen und demgemäß die politischen Parteien unterschiedlich behandeln, soweit dies zur Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorganges bei der politischen Willensbildung des Volkes, im Interesse der Einheitlichkeit des ganzen Wahlsystems und zur Sicherung der mit der Parlamentswahl verfolgten staatspolitischen Ziele unbedingt erforderlich ist. Zu diesen zulässigen Sicherungen gehören die Sperrklauseln, die Parteien benachteiligen, die einen bestimmten Hundertsatz der Gesamtstimmenzahl nicht erreicht haben.
An dieser seiner grundsätzlichen Auffassung, die der Senat bereits in der Entscheidung vom 5. April 1952 vertreten hat, die er in den Entscheidungen vom 11. August 1954 und vom 6. Februar 1956 aufrechterhalten hat, und der sich der Erste Senat in den Entscheidungen vom 3. Juni 1954, 21. Januar 1955 und vom 13. Juni 1956 angeschlossen hat, und die auch von Landesverfassungsgerichten vertreten wird hält der Senat auch nach erneuter Prüfung fest. Insbesondere hat auch der Hinweis auf das sogenannte konstruktive Mißtrauensvotum des Art. 67 GG den Senat nicht davon überzeugt, daß nach der besonderen Gestaltung des Grundgesetzes die aus einer Parteizersplitterung möglicherweise resultierenden Gefahren für den Staat als behoben betrachtet werden können. Hat die Wahl nicht die Grundlagen für eine klare Mehrheitsbildung geschaffen, so kann es sich ergeben, daß bei Beginn der Wahlperiode oder bei einer aus besonderen Gründen während der Wahlperiode eintretenden Vakanz ein Bundeskanzler nur mit relativer Mehrheit gewählt wird. Wenn ein solcher Kanzler auch nur dadurch gestürzt werden könnte, daß der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt, so bleibt doch bestehen, daß eine Bundesregierung, die sich nicht auf das Vertrauen der Mehrheit der Mitglieder des Parlaments stützen kann, nicht voll aktionsfähig ist. Die umfangreiche Gesetzgebungsarbeit im sozialen Rechtsstaat erfordert im besonderen Maße ein Zusammenwirken von Regierung und Parlament. Die Regierung muß möglichst fortlaufend durch das Vertrauen der Mehrheit des Parlaments unterstützt werden, um bei der Verabschiedung von dringlichen Gesetzen nicht ständig Gefahr zu laufen, ihre Gefolgschaft zu verlieren. Diese Voraussetzung ist aber trotz des konstruktiven Mißtrauensvotums nicht gesichert, wenn das Parlament eine größere Anzahl von kleineren Gruppen aufweist, die das permanente Votum einer Regierungsmehrheit bei der Regierungsbildung, Regierungsneubildung oder bei der laufenden parlamentarischen Arbeit in Frage stellen würde.
4. Angesichts des Ausgangspunktes von der demokratischen Gleichberechtigung der Staatsbürger und von der Gleichbewertung der politischen Parteien im System des Grundgesetzes ist festzuhalten, daß der dem Gesetzgeber bei der Gestaltung des Verhältniswahlrechtes nach dem Grundsatz der gleichen Wahl belassene Ermessensspielraum eng bemessen ist. Aber in diesen Grenzen bleibt die Pflicht des Bundesverfassungsgerichts bestehen, die Ausübung des gesetzgeberischen Ermessens zu achten. Das Gericht hat nicht zu prüfen, ob die innerhalb dieses Rahmens vom Gesetzgeber gefundene Lösung ihm zweckmäßig oder rechtspolitisch erwünscht erscheint. Es kann die Bestimmung eines Wahlgesetzes wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit vielmehr nur dann für nichtig erklären, wenn die Regelung nicht an dem Ziel orientiert ist, Störungen des Staatslebens zu verhindern, oder wenn sie das Maß des zur Erreichung dieses Zieles Erforderlichen überschreitet. Daß ein Quorum von 5 % nach der allgemeinen Rechtsüberzeugung zur Verhütung der Parteienzersplitterung im Parlament und damit zur Bewahrung der integrierenden Funktion der Wahlen gerechtfertigt ist, hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5. April 1952 entschieden. Er hält daran fest.