Körperwelten

From Anthologia

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So, und nun vollzog sich der Akt, der ja eigentlich schon vorher begann – im Bistrobereich, vor der Halle und schließlich im Bus, und immer die gleiche obszöne Frage: WIE FANDEST DU DIE AUSSTELLUNG? Genauso habe ich es erwartet und zugleich gefürchtet. Mein Gegenüber erwartet von mir eine vernünftige Antwort, alles andere wäre ja flüchtend oder unverschämt. Der andere steht nun hinter seiner Frage und fragt auf mich herunter und da fragt man sich doch berechtigt, mit welchem Recht der andere fragt – und was wäre, wenn ich selber die Antwort nicht weiß? Ich fand nichts, muss ich denn etwas finden, darf ich nicht einmal, ohne etwas zu finden, um etwas herum finden. Doch die bedrängende Frage bleibt. Ich antworte: „Interessant“, meine aber: „Auf deine Frage finde ich keine Antwort.“, „Ich hab’ keine Ahnung.“, „Deine Frage ist mir zu blöd.“ oder sogar „Was geht dich das an?“ Was ich davon wirklich gedacht habe, weiß ich nun wirklich selber nicht. Auf die un-angebrachte Frage bekommt das Fragewesen auch eine unangebrachte Antwort. Die Körperwelten-Ausstellung begeht auf zweierlei Weise eine Grenzüberschreitung: eine der Medizin und eine der Kunst. Nun, bei der ästhetischen Grenzüberschreitung wird die Leiche durch den Vorgang der Plastination und ihrer späteren Positionierung unverkennbar zu einem Kunstobjekt hochstilisiert. Dies schafft eine neue Art von Kunst. Den Körperwelten gehört aus diesem Grunde wesenhaft Obszönität zu. Sie deckt auf und stellt bloß; die Begegnung mit dem ausgehauchten Leben bricht Grenzen des existenziellen Empfindens. Worin liegt das geringere Übel, wenn lebendige oder tote Menschen zu Objekten der Kunst degradiert werden? Warum sollte gerade demjenigen das Recht zu Kritisieren eingeräumt werden, der mit Aktfotografien liebäugelt? Und nun auf dem Höhepunkt der Fragerei gefragt: Gunther von Hagens, ist er denn der neue Hugh Hefner der Leichen? – Den notwendigen Kultstatus, sein Markenzeichen ist der Hut, hat er jedenfalls schon erlangt. Wir werden vermutlich nicht ganz am falschen Ort stehen, wenn wir hier feststellen, dass wir heute so wenig gut gewürzte, geistvolle Obszönität haben und uns statt dessen mit langweiliger Pornographie – die Leute merken noch nicht einmal den Unterschied! – begnügen müssen. (zum Unterschied: das Obszöne fordert durch sein eigenes Hinzutun das Wesentliche, das nicht Gesagte und nicht Gesehene, nur Angedeutete, zu leisten, während das Pornographische alles, was es zu sagen und zeigen hat, plump aufdrängt.) Es ist festzumachen, die Körperwelten sind obszön, wie geistvoll steht außer Frage, deshalb muss sich jeder bejahende Betrachter zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, an eben dieser Obszönität gefallen zu finden. Ich zu meinem Teil, kann auf sie gut verzichten.

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