Aesthetica in Nuce

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Johann Georg Hamann

AESTHETICA IN NUCE

Eine Rhapsodie in Kabbalistischer Prose.

Buch der Richt. V, 30.

Elihu im Buch Hiob XXXII, 19-22.

HORATIVS.

Odi profanum vulgus & arceo. Fauete linguis! carmina non prius Audita, Musarum sacerdos, Virginibus puerisque canto. Regum timendorum in proprios greges; Reges in ipsos imperium est Iouis, Clari giganteo triumpho, Cuncta supercilio mouentis.

Nicht Leyer! – noch Pinsel! – eine Wurfschaufel für meine Muse, die Tenne heiliger Litteratur zu fegen! – – Heil dem Erzengel über die Reliquien der Sprache Kanaans! – auf schönen Eselinnen siegt er im Wettlauf; – aber der weise Idiot Griechenlands borgt Euthyphrons stolze Hengste zum philologischen Wortwechsel.

Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts; wie der Gartenbau, älter als der Acker: Malerey, – als Schrift: Gesang, – als Deklamation: Gleichnisse, – als Schlüsse: Tausch, – als Handel. Ein tieferer Schlaf war die Ruhe unserer Urahnen; und ihre Bewegung, ein taumelnder Tanz. Sieben Tage im Stillschweigen des Nachsinns oder Erstaunens saßen sie; – – und thaten ihren Mund auf – zu geflügelten Sprüchen.

Sinne und Leidenschaften reden und verstehen nichts als Bilder. In Bildern besteht der ganze Schatz menschlicher Erkenntniß und Glückseeligkeit. Der erste Ausbruch der Schöpfung, und der erste Eindruck ihres Geschichtschreibers; – – die erste Erscheinung und der erste Genuß der Natur vereinigen sich in dem Worte: Es werde Licht! hiemit fängt sich die Empfindung von der Gegenwart der Dinge an.

Endlich krönte GOTT die sinnliche Offenbarung seiner Herrlichkeit durch das Meisterstück des Menschen. Er schuf den Menschen in Göttlicher Gestalt; – – zum Bilde GOttes schuf er ihn. Dieser Rathschluß des Urhebers löst die verwickeltesten Knoten der menschlichen Natur und ihrer Bestimmung auf. Blinde Heyden haben die Unsichtbarkeit erkannt, die der Mensch mit GOTT gemein hat. Die verhüllte Figur des Leibes, das Antlitz des Hauptes, und das Äußerste der Arme sind das sichtbare Schema, in dem wir einher gehn; doch eigentlich nichts als ein Zeigefinger des verborgenen Menschen in uns; –

Exemplumque DEI quisque est in imagine parua.

Die erste Nahrung war aus dem Pflanzenreiche; die Milch der Alten, der Wein; die älteste Dichtkunst nennt ihr gelehrter Scholiast (der Fabel des Jothams und Joas zu folge botanisch; auch die erste Kleidung des Menschen war eine Rhapsodie von Feigenblättern. – –

Aber GOTT der HERR machte Röcke von Fellen, und zog sie an – unsern Stammeltern, welche die Erkenntniß des Guten und Bösen Schaam gelehrt hatte. – Wenn die Nothdurft eine Erfinderin der Bequemlichkeiten und Künste ist: so hat man Ursach sich mit Goguet zweymal zu wundern, wie in den Morgenländern die Mode sich zu kleiden, und zwar in Thierhäuten, hat entstehen können. Darf ich eine Vermuthung wagen, die ich wenigstens für sinnreich halte? – – Ich setze das Herkommen dieser Tracht, in der dem Adam durch den Umgang mit dem alten Dichter, (der in der Sprache Kanaans Abaddon, auf hellenistisch aber Apollyon heist,) bekannt gewordenen allgemeinen Bestandheit thierischer Charaktere, – die den ersten Menschen bewog unter dem gelehnten Balg eine anschauende Erkenntnis vergangener und künftiger Begebenheiten auf die Nachwelt fortzupflanzen – – –

Rede, daß ich Dich sehe! Dieser Wunsch wurde durch die Schöpfung erfüllt, die eine Rede an die Kreatur durch die Kreatur ist; denn ein Tag sagts dem andern, und eine Nacht thuts kund der andern. Ihre Losung läuft über jedes Klima bis an der Welt Ende und in jeder Mundart hört man ihre Stimme. – – Die Schuld mag aber liegen, woran sie will, (außer oder in uns): wir haben an der Natur nichts als Turbatverse und disiecti membra poetae zu unserm Gebrauch übrig. Diese zu sammeln ist des Gelehrten; sie auszulegen, des Philosophen; sie nachzuahmen – oder noch kühner! – – sie in Geschick zu bringen, des Poeten bescheiden Theil.

Reden ist übersetzen – aus einer Engelsprache in eine Menschensprache, das heist, Gedanken in Worte, – Sachen in Namen, – Bilder in Zeichen; die poetisch oder kyriologisch, historisch, oder symbolisch oder hieroglyphisch – – und philosophisch oder charakteristisch seyn können. Diese Art der Übersetzung (verstehe Reden) kommt mehr, als irgend eine andere, mit der verkehrten Seite von Tapeten überein,

And shews the stuff, but not the workman's skill;

oder mit einer Sonnenfinsternis, die in einem Gefäße voll Wassers in Augenschein genommen wird.

Mosis Fackel erleuchtet selbst die intellectualische Welt, die auch ihren Himmel und ihre Erde hat. Bacon vergleicht daher die Wissenschaften mit den Gewässern über und unter dem Gewölbe unserer Dunstkugel. Jene sind ein gläsern Meer, als Krystall mit Feuer gemengt; diese hingegen kleine Wolken aus dem Meer, als eine Manneshand.

Die Schöpfung des Schauplatzes verhält sich aber zur Schöpfung des Menschen: wie die epische zur dramatischen Dichtkunst. Jene geschah durchs Wort; die letzte durch Handlung. Herz! sey wie ein stilles Meer! – – Hör den Rath: Laßt uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sey, die da herrschen! – Sieh die That: Und GOTT der HERR machte den Menschen aus einem Erdenkloß – – Vergleich Rath und That; bete den kräftigen Sprecher mit dem Psalmisten; den vermeynten Gärtner mit der Evangelistin der Jünger; und den freyen Töpfer mit dem Apostel hellenistischer Weltweisen und talmudischer Schriftgelehrten an!

Der hieroglyphische Adam ist die Historie des ganzen Geschlechts im symbolischen Rade: – – der Charakter der Eva, das Original zur schönen Natur und systematischen Ökonomie, die nicht nach methodischer Heiligkeit auf dem Stirnblatt geschrieben steht; sondern unten in der Erde gebildet wird, und in den Eingeweiden, – in den Nieren der Sachen selbst – verborgen liegt.

Virtuosen des gegenwärtigen Äons, auf welchen GOTT der HERR einen tiefen Schlaf fallen lassen! Ihr wenigen Edeln! macht euch diesen Schlaf zu Nutz, und baut aus einer Ribbe dieses Endymions die neueste Ausgabe der menschlichen Seele, die der Barde mitternächtlicher Gesänge in seinem Morgentraum sahe, – – aber nicht von nahe. Der nächste Äon wird wie ein Riese vom Rausch erwachen, eure Muse zu umarmen, und ihr das Zeugnis zuzujauchzen: Das ist doch Bein von meinem Bein, und Fleisch von meinem Fleisch!

Sollte diese Rhapsodie im vorübergehen von einem Leviten der neuesten Litteratur in Augenschein genommen werden: so weiß ich zum voraus, daß er sich seegnen wird, wie der heilige Petrus vor dem großen leinenen Tuch an vier Zipfeln gebunden, darin er mit einem Blick gewahr ward, und sahe vierfüßige Thiere der Erden und wilde Thiere, und Gewürme und Vögel des Himmels – – – »O nein; besessener – Samariter!« – – (so wird er den Philologen schelten in seinem Herzen) – »für Leser von orthodoxem Geschmack gehören keine gemeine Ausdrücke noch unreine Schüsseln« – – Impossibilissimum est, communia proprie dicere – Siehe! darum geschieht es, daß ein Autor, dessen Geschmack acht Tage alt, aber beschnitten ist, lauter weißen überzogenen Entian – zur Ehre menschlicher Nothdurft! – in die Windeln thut – – Die fabelhafte Häßlichkeit des alten Phrygiers ist in der That lange so blendend nicht, als die ästhetische Schönheit Äsop des jüngern. Heuer ist Horazens typische Ode an Arist erfüllt, daß ein Sänger der süßlächelnden Lalage, die noch süßer küßt als sie lacht, aus sabinischen, apulischen und mauritanischen Ungeheuern Stutzer gemacht hat. – Man kann allerdings ein Mensch seyn, ohne daß man nöthig hat ein Autor zu werden. Wer aber guten Freunden zumuthet, daß sie den Schriftsteller ohne den Menschen denken sollen, ist mehr zu dichterischen als philosophischen Abstractionen aufgelegt. Wagt euch also nicht in die Metaphysick der schönen Künste, ohne in den Orgien und Eleusinischen Geheimnissen vollendet zu seyn. Die Sinne aber sind Ceres, und Bacchus die Leidenschaften; – alte Pflegeltern der schönen Natur.

Bacche! veni dulcisque tuis e cornibus vua Pendeat, & spicis tempora cinge Ceres!

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