BVerfG 2,1

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(Parteien, freiheitlich demokratische Grundordnung) Bevor die Frage der Verfassungswidrigkeit der SRP im einzelnen geprüft wird, erscheint es angezeigt, zu umreißen, welche Stellung das Grundgesetz zu den politischen Parteien allgemein einnimmt. Die deutschen Verfassungen der Zeit nach dem ersten Weltkriege erwähnten die politischen Parteien kaum, obwohl schon damals nach der Einführung des parlamentarischen Regierungssystems und des Verhältniswahlrechts das demokratische Verfassungsleben weitgehend von ihnen bestimmt war. Die Gründe hierfür sind vielfältig, gehen aber letztlich auf die demokratische Ideologie zurück. Sie wehrte sich dagegen, zwischen der freien Einzelpersönlichkeit und dem Willen des Gesamtvolkes, der aus der Summe der einzelnen Willen zusammengesetzt und durch Abgordnete als "Vertreter des ganzen Volkes" im Parlament repräsentiert gedacht war, Gruppen anzuerkennen, die den Prozeß der politischen Willensbildung denaturieren könnten.

Das Grundgesetz verläßt diesen Standpunkt und trägt der politischen Wirklichkeit Rechnung, indem es die Parteien als Träger der politischen Willensbildung des Volkes - wenn auch nicht als einzige - ausdrücklich anerkennt.

Der Versuch, das Parteiwesen verfassungsrechtlich zu regeln, hat sich mit einer zweifachen Problematik auseinanderzusetzen. Die erste hängt mit dem theoretischen Grundsatz der Demokratie zusammen, jedwede politische Richtung - das hieße folgerichtig auch eine der Demokratie feindliche - sich in Parteien manifestieren zu lassen. Die zweite ist in einem auf der parlamentarischen Ebene wirksamen besonderen Spannungsverhältnis angelegt: der Abgeordnete ist freier Vertreter des Gesamtvolkes und zugleich einem konkreten Parteiprogramm verpflichtet. Näherer Betrachtung bedarf an dieser Stelle zunächst das erste Problem.

In einem liberalen demokratischen Staate, wie er der deutschen Verfassungsentwicklung entspricht, ist dem einzelnen Bürger die Freiheit der politischen Meinung und die Freiheit des Zusammenschlusses auch zu Vereinigungen politischer Art als Grundrecht gewährleistet. Auf der anderen Seite liegt es im Wesen jeder Demokratie, daß die vom Volke ausgehende Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird. Dieser Volkswille kann jedoch wiederum in der Wirklichkeit des modernen demokratischen großen Staates nur in den Parteien als politischen Handlungseinheiten erscheinen. Beide Grundgedanken führen zu der grundsätzlichen Folgerung, daß der Bildung und Betätigung politischer Parteien keine Schranken gesetzt werden dürfen.

Der deutsche Verfassungsgesetzgeber stand vor der Frage, ob er diese Folgerungen rein durchführen könne oder ob er nicht vielmehr, belehrt durch die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit, hier gewisse Grenzen ziehen müsse. Er hatte zu erwägen, ob nicht die absolute Freiheit auf der Grundlage jedweder politischen Idee Parteien zu bilden, an der Anerkennung der tragenden Grundsätze jeder Demokratie ihre Schranken finden müsse und ob nicht Parteien, die mit den formalen Mitteln der Demokratie diese selbst beseitigen wollen, aus dem politischen Leben ausgeschaltet werden müßten. Dabei war die Gefahr zu bedenken, die darin liegt, daß die Regierung auf diese Art unbequeme Oppositionsparteien zu beseitigen versucht sein könnte.

Das Grundgesetz hat in Art. 21 versucht, dieser Problematik Herr zu werden. Es stellt auf der einen Seite den Grundsatz auf, daß die Gründung der Parteien frei ist. Auf der anderen Seite sieht es die Möglichkeit vor, die Tätigkeit "verfassungswidriger" Parteien zu verhindern. Um die Gefahr eines Mißbrauchs dieser Möglichkeit zu bannen, überträgt es die Entscheidung über die Frage der Verfassungswidrigkeit dem Bundesverfassungsgericht und bemüht sich, die Voraussetzungen für eine solche Feststellung tatbestandsmäßig nach Möglichkeit zu bestimmen. Den Grundgedanken, auf denen diese Regelung beruht, sind zugleich wichtige Hinweise für die Auslegung des Art. 21 GG im einzelnen zu entnehmen. Dies gilt vor allem für die nähere Bestimmung des Begriffs der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung". Die besondere Bedeutung der Parteien im demokratischen Staat rechtfertigt ihre Ausschaltung aus dem politischen Leben nicht schon dann, wenn sie einzelne Vorschriften, ja selbst ganze Institutionen der Verfassung mit legalen Mitteln bekämpfen, sondern erst dann, wenn sie oberste Grundwerte des freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaates erschüttern wollen. Diese Grundwerte bilden die freiheitliche demokratische Grundordnung, die das Grundgesetz innerhalb der staatlichen Gesamtordnung der "verfassungsmäßigen Ordnung" als fundamental ansieht. Dieser Grundordnung liegt letztlich nach der im Grundgesetz getroffenen verfassungspolitischen Entscheidung die Vorstellung zugrunde, daß der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen selbständigen Wert besitzt und Freiheit und Gleichheit dauernde Grundwerte der staatlichen Einheit sind. Daher ist die Grundordnung eine wertgebundene Ordnung. Sie ist das Gegenteil des totalen Staates, der als ausschließliche Herrschaftsmacht Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit ablehnt. Die Vorstellung des Vertreters der SRP, es könne verschiedene freiheitliche demokratische Grundordnungen geben, ist falsch. Sie beruht auf einer Verwechslung des Begriffs der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit den Formen, in denen sie im demokratischen Staat Gestalt annehmen kann.

So läßt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.

Damit ist auch das Entscheidende über das Verhältnis von Art. 21 zu Art. 9 II GG gesagt. Begrifflich gehören auch die Parteien zu den "Vereinigungen" im Sinne des Art. 9 II GG (vgl. auch § 90a III StGB). Damit würden sie unter den dort bezeichneten Voraussetzungen ohne weiteres verboten sein und somit dem Zugriff der Exekutive schlechthin unterliegen. Dabei würden im einzelnen schwierige Auslegungsfragen entstehen, namentlich wenn man den in Art. 9 II GG verwandten Begriff der "verfassungsmäßigen Ordnung" dem Begriff der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" gegenüberstellte und ihr Verhältnis zueinander nur aus dem Wortlaut mit Mitteln der Logik zu bestimmen versuchte. Eine befriedigende Lösung kann nur aus den oben entwickelten grundsätzlichen Erwägungen gewonnen werden. Ist nämlich eine Vereinigung eine politische Partei, so hat sie - eben wegen der den Parteien und nur ihnen eingeräumten Sonderstellung - Anspruch auf die Privilegierung nach Art. 21 II GG. Diese Vorschrift ist also für die politischen Parteien uneingeschränkt lex specialis gegenüber Art. 9 II GG. Diese Bestimmung bleibt im Bereich des Politischen nur auf Gruppen anwendbar, die sich nicht als politische Parteien organisiert haben oder betätigen, oder auf Nebenorganisationen von Parteien.

Art. 21 GG ist mit Ausnahme des Abs. I 4 unmittelbar anwendbares Recht, obwohl Abs. III eine nähere Regelung durch Bundesgesetze vorsieht. Dies ist für Abs. II offensichtlich, zumal durch das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht die nähere Regelung schon getroffen ist. Die aktuelle Geltung der beiden ersten Sätze des Art. 21 I GG ist wegen ihrer schon oben gekennzeichneten grundsätzlichen Bedeutung ebenso offensichtlich. Abs. I 3 mag zwar in dem vorgesehenen Parteiengesetz eine nähere Ausgestaltung erfahren. Unmittelbar anwendbar ist er jedenfalls insoweit, als er es verbietet, daß eine Partei sich in grundsätzlicher Abweichung von demokratischen Prinzipien organisiert. Die Frage aber, ob ein Verstoß gegen diese Bestimmung eine Partei verfassungswidrig im Sinne des Art. 21 II GG macht, ist damit nicht entschieden. Ihre Beantwortung ergibt sich aus der Erwägung, daß eine Partei nur dann aus dem politischen Leben ausgeschaltet werden darf, wenn sie die obersten Grundsätze der freiheitlichen Demokratie ablehnt. Entspricht die innere Ordnung einer Partei demokratischen Grundsätzen nicht, so wird im allgemeinen der Schluß naheliegen, daß die Partei die Strukturprinzipien, die sie bei sich selbst verwirklicht hat, auch im Staate durchsetzen, damit also einen der wesentlichsten Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, nämlich die Bildung des Staatwillens als Ergebnis des freien politischen Kräftespiels, zugunsten eines autoritären Systems beseitigen will. Ob dieser Schluß berechtigt ist, muß im Einzelfall geprüft werden. Erreicht die Abkehr von demokratischen Organisationsgrundsätzen einen solchen Grad, daß sie nur als Ausdruck einer grundsätzlich demokratiefeindlichen Haltung erklärbar ist, so kann, namentlich wenn auch andere Umstände diese Einstellung der Partei bestätigen, der Tatbestand des Art. 21 II GG erfüllt sein. Die gleichsam "abstrakte" Feststellung einer demokratischen Grundsätzen nicht entsprechenden inneren Ordnung würde für sich allein jedoch nicht genügen.

Zu dieser Auslegung gelangt man auch, wenn man berücksichtigt, daß auch innerhalb der zweifelsfrei demokratischen Parteien die Erörterung darüber ständig im Gange ist, welche Möglichkeiten dem schöpferisch formenden Willen starker politischen Persönlichkeiten gegebenenfalls einzuräumen seien. Diese Fragestellungen können nicht mit dem einfachen Hinweis darauf abgetan werden, daß "in einem demokratischen Staate auch die Parteien demokratisch geordnet sein müssen". Die Parteien als die dynamischen Faktoren des politischen Lebens im Staate sind es vor allem, in denen die politischen Ideen entstehen und weiterwirken. Wollten sie starke politische Persönlichkeiten innerhalb der Partei durch formaldemokratische Satzungsbestimmungen allzusehr einengen, so würden sie gegen ihr eigenes Lebensgesetz handeln. Lebendiges politisches Leben könnte dann zugunsten eines bloßen Funktionärtums erstickt, der echte Politiker in die politische Vereinzelung getrieben werden. Daß damit letztlich auch Gefahren für den demokratischen Staat selbst heraufbeschworen werden können, mag unter Hinweis auf das Verhalten der demokratischen Parteien bei ihrer Entmachtung und anschließenden Vernichtung durch die NSDAP im Jahre 1933 hier nur angedeutet werden. Die hier berührten Probleme sind im Fluß. Jedoch kann nicht angenommen werden, daß das Grundgesetz natürliche Entwicklungen und Auseinandersetzungen hinsichtlich der inneren demokratischen Ordnung der Parteien hat abschneiden wollen.

Im Anschluß an die Ausführungen unter E. läßt sich die Bedeutung des Art. 21 GG dahin zusammenfassen: Absatz 1 dieser Bestimmung erkennt an, daß die Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, und hebt sie damit aus dem Bereich des PolitischSoziologischen in den Rang einer verfassungsrechtlichen Inseitution. An dieser "Inkorporation" der Parteien in das Verfassungsgefüge können politisch sinnvoll nur die Parteien teilhaben, die auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen. Dies wird durch Absatz 2 bestätigt. Er hat die Bedeutung, die Feststellung zu ermöglichen, daß eine bestimmte Partei nicht an der politischen Willensbildung des Volkes teilnehmen darf, weil sie die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft. Lediglich aus rechtsstaatlichen Erwägungen ist bestimmt, daß die Feststellung der Verfassungswidrigkeit mit rechtlicher Wirkung nicht von jedermann, auch nicht von Regierung und Verwaltung, und nicht in jedem Verfahren getroffen werden kann, sondern nur durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in einem der Erforschung der materiellen Wahrheit dienenden Verfahren.

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